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Luis und Irma wohnen zwar in Alto Romero, kommen aber regelmäßig nach Boquete, um Erledigungen zu machen. Am 8. Mai 2023 ist es mal wieder so weit. Zuvor hatten beide ohne zu zögern einem Treffen mit mir zugestimmt, und als wir uns jetzt gegenübersitzen, merke ich, warum. Ihre Geschichte ist einfach und schnell erzählt.
Bevor wir beginnen, erkläre ich den beiden genau, wer ich bin und was meine Intention ist. Ich will aus erster Hand wissen, wie der Fund abgelaufen ist, über den so viele Menschen rätseln. Ruhig und entspannt hören sie mir zu, ohne zu unterbrechen. Selten habe ich Menschen getroffen, die solch eine zurückhaltende, aber dennoch offene Ausstrahlung haben.
Irma leuchtet mir in ihrem gelben Gewand im Stil der Ngöbe-Buglé entgegen. Es ist schlicht mit traditionellen Mustern versehen. Luis trägt ein helles Hemd und eine schwarze Hose. Beide haben die Hände auf dem Tisch gefaltet, bereit, loszulegen. Kein nervöses Herumfummeln, kein verlegenes Durch-die-Haare-Streichen, wie ich es später bei einigen Interviewpartnern noch beobachten werde.
Ich drücke auf die Aufnahmetaste meines Handys. Die beiden beginnen zu erzählen:
Es war ungefähr die Uhrzeit wie heute, also später Nachmittag, als Irma und Luis mit anderen Männern in der Nähe des Flusses Culebra schon einige Stunden auf einem Reisfeld gearbeitet hatten. Die Stelle liegt etwa zwei Stunden Fußmarsch von ihrem Dorf Alto Romero entfernt. Einige Tage zuvor hatte es heftig geregnet, was in der Gegend bewirkt, dass die Flüsse stark anwachsen und die Wasserpegel steigen. Steine, so groß wie ein Kleinwagen, sind nach viel Regen komplett von Wasser bedeckt, liegen bei ausbleibendem Regen aber auf dem Trockenen. Was mit den Wassermassen angespült wird und sich irgendwo verkeilt, bleibt also liegen, sobald das Wasser wieder abfließt. Aus diesem Grund sieht man manchmal Äste, ja ganze Baumstämme auf den Felsen liegen. Jeder ohne das Wissen um den riesigen Wasseranstieg würde sich unweigerlich fragen, wie die da hingelangen konnten.
Zwischen solchen Steinen und Baumstämmen fand Irma, die sich als einzige Frau der Gruppe ein Stück weiter zurückzog, um sich und ihre Kleidung zu waschen, also Lisannes Rucksack. Sie rief ihren Mann und sie öffneten ihn, um herauszufinden, mit was sie es zu tun hatten. Schnell war ihnen klar, dass es sich um den Besitz der verschwundenen Mädchen handeln musste, von denen sie in Boquete gehört hatten.
Zwei Fragen, die mir während des Gesprächs natürlich unter den Nägeln brannten: Wie sah der Rucksack aus, in welchem Zustand war er? Und kam den beiden der Zustand des Rucksacks plausibel vor nach zwei Monaten im Wald? Er war hier und hier geschlossen, sagt Irma und macht eine Armbewegung, als schließe sie Brustgurt und Hüftgurt eines imaginären Rucksacks. Diese Info ist neu für mich, ich vergewissere mich, ob ich sie richtig verstanden habe. Ja, sagt sie, beide Schnallen waren verschlossen. Dass er nass war, erzählt sie mir erst, als ich gezielt nachfrage – diese Info scheint für sie vollkommen logisch und muss darum nicht extra erwähnt werden. Schließlich lag der Rucksack im Fluss. Doch ja, er war außen und innen nass und voller Sand, sagt Irma, außerdem „golpeada“, also angeschlagen, zerdellt, wahrscheinlich vom Herumwirbeln zwischen Felsbrocken. Dennoch war er nicht kaputt oder zerfleddert, wie man es erwarten würde. Für das Paar ist es dennoch plausibel, dass der Rucksack aussah, wie er aussah, da er von besonders stabiler („fuerte“) Qualität war.
Irma denkt nicht lange nach – sie will den Fund auf jeden Fall melden. Die Familie der Mädchen leidet unter deren Schmerz – wir sind als Menschen alle gleich und müssen einander helfen, sagt sie mir. Darum vereinbarte sie mit ihrem Mann Luis, den Rucksack mit ins Dorf Alto Romero zu nehmen und von dort ihren Arbeitgeber Domingo Gonzalez anzurufen, damit dieser die Behörden verständigt. Warum sie nicht gleich von Ort und Stelle aus angerufen haben? Weil es dort im Wald keinen Empfang gab.
Und warum riefen sie nicht selbst die Behörden oder die Polizei an, sondern überließen das Felicianos Bruder Domingo? Auch diese wichtige Frage beantworten Irma und Luis ohne großes Aufheben. Sie wissen nichts von all den Theorien, die daraus gesponnen wurden und sich ohne Beweise gegen Feliciano richten. Weil wir keine Nummer von den Behörden hatten, sagen sie.
Handys haben bei den Ngöbe-Buglé einen anderen Stellenwert als bei uns in Europa, im Jahr 2014 erst recht. Luis hatte eins, um mit seinem Arbeitgeber Arbeitsdinge besprechen zu können, aber genutzt wurde es nicht viel. Empfang gab es nur in einem einzigen Haus im Dorf Alto Romero, und selbst dort nur mit einigen Verrenkungen. Domingo ist als Bewohner von Boquete außerdem eine Art Verbindung zwischen seinen indigenen Angestellten und der panamaischen Gesellschaft. Wenn sie nach Boquete kommen, wohnen sie in einem kleinen Haus, das er extra für seine indigenen Bekannten aus Alto Romero gebaut hat.
Die Verbindung zwischen Alto Romero und der Familie Gonzalez ist jahrzehntealt und von Freundschaft geprägt. Dass das ganze Dorf Angst vor dem „mächtigen und einflussreichen Feliciano“ hat, von dem zwei Journalisten im Podcast sprechen, darüber lachen Irma und Luis nur. Aber davon an anderer Stelle mehr.
Although Luis and Irma live in Alto Romero, they regularly come to Boquete to run errands. On May 8, 2023, the time has come again. Both of them had previously agreed to meet me without hesitation, and as we sit across from each other, I realize why. Their story is simple and quickly told. Before we start, I explain to them exactly who I am and what my intention is. I want to know first-hand how the find that so many people are puzzling over happened. They listen to me calmly and relaxed, without interrupting. Rarely have I met people who have such a cautious yet open charisma.
Irma is shining in her yellow Ngöbe-Buglé style robe. It is simple with traditional patterns. Luis is wearing a light-colored shirt and black trousers. Both have their hands folded on the table, ready to start. No nervous fumbling around, no embarrassed brushing through their hair, as I will see later with some of the interviewees.
I press the record button on my cell phone. The two of them start talking:
It was about the same time as today, late afternoon, when Irma and Luis had been working with other men in a rice field near the Culebra River for a few hours. The site is about two hours' walk from their village Alto Romero. A few days earlier it had rained heavily, causing the rivers in the area to swell and the water levels to rise. Stones the size of a small car are completely covered in water after a lot of rain, but lie on dry land when there is no rain. Anything that is washed up with the masses of water and gets wedged somewhere remains lying there as soon as the water drains away again. For this reason, you can sometimes see branches and even whole tree trunks lying on the rocks. Anyone without knowledge of the huge rise in water would inevitably wonder how they got there.
Between such rocks and tree trunks, Irma, who was the only woman in the group and therefore went a little further back to wash herself and her clothes, found Lisanne's rucksack. She called her husband and they opened it to find out what it was. They quickly realized that it must be the possessions of the missing girls they had heard about in Boquete.
There were two questions always in my mind during the conversation: What did the rucksack look like, what condition was it in? And did the condition of the rucksack seem plausible to them after two months in the forest and river? It was closed here and here, says Irma and makes an arm movement as if she were fastening the chest strap and hip belt of an imaginary rucksack. This information is new to me, I make sure I've understood her correctly. Yes, she says, both buckles were fastened. She only tells me that it was wet when I ask specifically – this information seems completely logical to her and therefore doesn't need to be mentioned. After all, the rucksack was in the river for months. But yes, it was wet on the outside and inside and full of sand, says Irma, and also "golpeada", i.e. battered, dented, probably from being tossed around between boulders. Nevertheless, it was not broken or tattered, as you would expect. For the couple, however, it is plausible that the rucksack looked as it did because it was of particularly sturdy ("fuerte") quality.
Irma doesn't think twice – she definitely wants to report the find. The girls' family is suffering from their pain – we are all the same as human beings and have to help each other, she tells me. That's why she and her husband Luis agreed to take the rucksack to the village of Alto Romero and call her employer Domingo Gonzalez from there so that he could inform the authorities. Why didn't they call from the spot? Because there was no reception in the forest.
And why didn't they call the authorities or the police themselves, but left it to Feliciano's brother Domingo? Irma and Luis also answer this important question without making a fuss. They don't know anything about all the theories that have been spun out of it and are directed against Feliciano without any evidence. Because we didn't have a number from the authorities, they say.
Cell phones have a different status among the Ngöbe-Buglé than they do here in Europe, especially in 2014. Luis had one so that he could discuss work matters with his employer, but it wasn't used much. Reception was only available in one house in the village of Alto Romero, and even there only with some contortions. As a resident of Boquete, Domingo is also a kind of link between his indigenous employees and Panamanian society. When they come to Boquete, they stay in a small house that he built especially for his indigenous employees from Alto Romero.
The connection between Alto Romero and the Gonzalez family is decades old and characterized by friendship. Irma and Luis only laugh about the fact that the whole village is afraid of the "powerful and influential Feliciano", who two journalists talk about in their podcast. But I will tell you more about that elsewhere.
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